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Ab jetzt übernehmen wir!

Vier Akteur*innen des Jungen Theaters

Im Rahmen der Jahreskonferenz der dg in Gent 2020  luden wir, Eva Stöhr und Christoph Macha von der AG Junges Theater, vier Theatermacher*innen für Junges Theater ein, um über Institutionen, Allianzen, Allies für Kinder und Jugendliche zu sprechen. Auf dem Podium mit dem Titel „Ab jetzt übernehmen wir!“ saßen und diskutieren Irina Barca, Dramaturgin für Kinder- und Jugendprojekte am FFT Düsseldorf, Lina Zehelein, Leiterin der Abteilung Mitmachen & Vermittlung am Staatstheater Darmstadt, Winnie Karnofka, designierte Intendantin des Theaters der Jungen Welt Leipzig und Johan de Smet, künstlerischer Leiter der Kopergietery, Kinder- und Jugendtheater Gent. Anstatt einer Video-Dokumentation oder Transkription haben wir uns dazu entscheiden, die in kurzen Interviewporträts  vorzustellen und ihnen dazu Fragen gestellt.

 

Irina Barca, Dramaturgin für Kinder- und Jugendprojekte am FFT Düsseldorf

Wie bist du zum Jungen Theater gekommen?

Lange Geschichte. Abgekürzt: Sicherlich auch ein bisschen Zufall, aber vor allem Interesse und Spaß an den Perspektiven von Kindern und Jugendlichen auf Theater. Dazwischen liegt eine nicht ganz konsequent beabsichtigte Migrationsgeschichte, denn ich bin auch Rumänin.

An was für einer Art Theater arbeitest du? Was ist das besondere an eurem Haus?

Ich arbeite an einem Produktionshaus. Wir sind eine Plattform für freie darstellende Künste, ein Zentrum für Performing Arts, auch im Bereich Theater für junges Publikum. Das Besondere an unserem Haus ist die Verbindung zwischen unserem Programm und der Stadtgesellschaft. Besonders ist auch, dass der Bereich für junges Publikum fest in unserer Dramaturgie und in unserem Selbstverständnis implementiert ist.

Wer ist euer Publikum? Was sind die Herausforderungen mit ihm?

Unser Publikum sind Kinder- und Jugendliche, Senior*innen, Studierende, Künstler*innen, Theater- und Kunstinteressierte, lokale Initiativen und Vereine. Unser Publikum ist unheimlich klug und selbstbestimmt.

Kannst du ein wichtiges Projekt eures Hauses kurz skizzieren?

Ein Herzstück ist auf jedem Fall das jährliche Symposium ON/LIVE zu unserem Schwerpunkt „Das Theater der Digital Natives“. Hier treffen Perspektiven aus Aktivismus, Pädagogik und Kunst aufeinander, um gemeinsam Strategien, neue Dramaturgien und Narrative für das Theater der Gegenwart und somit auch der Zukunft zu verhandeln und zu entwickeln.

Wie sieht die Zukunft des Jungen Theaters aus? Und was wünschst du dir konkret für dein Theater, deine Stadt?

Die Zukunft des Jungen Theaters liegt in seiner politischen Dimension, in der Versammlung, in den Möglichkeiten der Teilhabe, in der Begegnung und in seiner Magie. Ich glaube fest an kollektive Strukturen und wünsche mir ein Theater für junges Publikum das erfinderisch und performativ ist. Ein Theater, das multiple Perspektiven denkt, nicht den Kanon im Spielplan festigt, sondern das künstlerische Risiko den Auslastungszahlen voranstellt, aus der Kunst heraus und um die Kunst herum organisiert ist und das Medium Theater mit all seinen Mitteln ausschöpft.

Welche Allies, Activists sind für dich wichtig? Welche Commons möchtest du in Zukunft teilen?

Allies sind für mich die Kinder und Jugendlichen selbst. Mit Aktivist*innen setze ich mich gerne für eine faire Gesellschaft, gegen Rechts und für eine andere Verteilung unserer Ressourcen ein. Aktivistische Perspektiven im Theater finde ich sehr wichtig. In Zukunft sollten alle unsere konstituierenden Institutionen, wie die Schule oder das Theater, als Commons gelebt werden.

 

Lina Zehelein, Leiterin der Abteilung Mitmachen & Vermittlung am Staatstheater Darmstadt

Wie bist du zum Jungen Theater gekommen?

Über das Arbeiten mit jungen Menschen – vor allem durch meine Tätigkeit als Musik- und Deutschlehrerin in Frankreich und durch meine Projektarbeit beim Children`s Choice Award der Ruhrtriennale 2013.

An was für einer Art Theater arbeitest du? Was ist das besondere an eurem Haus?

Wir in der Vermittlung sind uns zwei Aspekten bewusst: 1. Der „Weg“ ins Theater ist für viele oft fruchtbarer wenn er über die Hinterbühne verläuft; heißt, wenn Menschen mit den Prozessen und den Menschen und ihren Denk- und Gestaltungsräumen hinter der Bühne vertraut werden. Und umgekehrt (2. Aspekt): Dass die Kolleg*innen mit dem Publikum zusammenkommen und  durch den gegenseitigen Austausch mit den Lebensrealitäten der Menschen „von außen“ in Berührung treten. Das ist für beide Seiten eine win-win-Situation.

Wer ist euer Publikum? Was sind die Herausforderungen mit ihm?

Als Vierspartenhaus haben wir ein recht diverses Publikum. Die jungen Menschen kommen – wie bei vielen anderen auch – über Schulen, Kitas und Vereine. Dabei fokussieren wir uns darauf, gezielt auch solche Institutionen anzusprechen, die kaum mit Theater bisher zu tun haben, und diese sowohl organisatorisch als auch inhaltlich/konzeptionell zu unterstützen. Ein Beispiel ist bei uns die Kooperation mit dem Jobcenter und der Agentur für Arbeit in Darmstadt. Jede Spielzeit führen wir drei Projekte mit je 15 Arbeitssuchenden durch, schauen uns gemeinsam Vorstellungen an, machen Workshops und treffen Kolleg*innen einzelner Abteilungen, um mehr vom künstlerischen Prozess zu erfahren. Oder aber die Kooperation mit Joblinge e.V. eineme Verein, der Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren aus schwierigen sozialen Verhältnissen auf ihrem Weg auf den Arbeitsmarkt unterstützt.

Kannst du ein wichtiges Projekt eures Hauses kurz skizzieren?

Ein wie ich finde sehr wichtiges – aber auch ungewohntes – Konzept war unser „Radiospiel“. Das Format hatte eine Kollegin aus der Kunstpädagogik für ein Museum konzipiert, die uns auch bei der Umsetzung unterstützte: In diesem Projekt sind wir mit 2 kleinen Gruppen aus 8-10 Jährigen und einem Aufnahmegerät durch das Theater gelaufen und sie erfanden eine Geschichte zu den unterschiedlichen Räumen – je nachdem, wie die Räume auf sie wirkten und ohne zu wissen, was da „wirklich“ sonst passiert. Die Kolleg*innen konnten dann an Hörstationen, die im Theater (hinter der Bühne) aufgebaut waren, die Geschichten hören und somit ihren Arbeitsort neu erfahren. Für das sonstige Publikum waren diese für eine Zeit auf unserer Homepage.

Wie sieht die Zukunft des Jungen Theaters aus? Und was wünschst du dir konkret für dein Theater, deine Stadt?

Die Frage nach der Zukunft des KJT ist für mich derzeit noch schwerer zu beantworten. Ich kann nur inständig hoffen, dass es einen gegenteiligen Effekt gibt, als es momentan den Anschein hat; meine: dass es mehr Einsicht in die Notwendigkeit von qualitativ hochwertigem KJT gibt und mehr Geld in diese wertvolle Arbeit an der Gesellschaft zur Verfügung gestellt wird. Ich würde mir für mein Haus vor allem wünschen, dass wir noch mehr KJT machen – und mehr Kinder und Jugendliche in den Prozess mit einbeziehen.

Welche Allies, Activists sind für dich wichtig? Welche Commons möchtest du in Zukunft teilen?

Ich halte vor allem die Kooperationen mit anderen kulturellen, Bildungs- und anderen gesellschaftlichen Einrichtungen/Vereinen für extrem wichtig, da sie neue Perspektiven anbieten (auch/gerade für die eigene Arbeit). Aber auch die internen Netzwerke unter den Theatern und das Verständnis von einem „Miteinander“ anstelle von Konkurrenz sind unerlässlich.

Winnie Karnofka, Dramaturgin und designierte Intendantin des Theaters der Jungen Welt Leipzig (TDJW).

Wie bist du zum Jungen Theater gekommen?

Eher durch Zufall. Ich habe bis dato im Erwachsenen-Theater gearbeitet und wollte nur ein Jahr überbrücken mit einem Engagement als Dramaturgin am TDJW. Dann habe ich Feuer gefangen und bin hängengeblieben beim Theater für junges Publikum.

An was für einer Art Theater arbeitest du? Was ist das besondere an eurem Haus?

Das TDJW ist ein eigenständiges und zudem das älteste professionelle Kinder- und Jugendtheater Deutschlands. Es ist ein Eigenbetrieb der Stadt Leipzig. Unser Spielplan ist ästhetisch sehr vielfältig: Schauspiel, Figurentheater, Tanz, partizipative und mobile Produktionen und Projekte. Die zweite große Säule unserer Arbeit verortet sich in der Jungen Wildnis – unserer Theaterpädagogikabteilung mit vielen Theaterclubs, Vermittlungsangeboten, Workshops, Fortbildungen und den spielenden Theaterpädagog*innen.

Wer ist euer Publikum? Was sind die Herausforderungen mit ihm?

Ich würde uns mittlerweile als ein Mehrgenerationentheaterhaus bezeichnen – wir spielen von 2 bis 99+. Der Großteil unserer Vorstellungen findet am Vormittag für Schulklassen und Kindergartengruppen statt. Ein weiterer Publikumsschwerpunkt sind die Wochenenden, an denen viele Familien zu uns kommen. Und wir spielen auch für junges Erwachsene am Abend. Generell erreichen wir ein höchst diverses Publikum, aber wir arbeiten zum Beispiel gerade daran, unsere Angebote noch inklusiver zu gestalten und mit mobilen Projekten, die aus dem Theaterhaus herausgehen Zuschauer*innen zu erreichen, die bisher noch nicht oder selten zu uns kommen.

Kannst du ein wichtiges Projekt eures Hauses kurz skizzieren?

Vor 6 Jahren haben wir in Zusammenarbeit mit der Lebenshilfe Leipzig den inklusiven Theaterclub MELO gegründet, in dem erwachsene Leipziger*innen mit und ohne Beeinträchtigung jede Spielzeit eine Inszenierung erarbeiten. Für mich eine absolute Erfolgsgeschichte und Beweis dafür, dass „Theater mit Allen“ nicht nur möglich ist, sondern auch ästhetisch absolut spannend. Inspiriert von dieser Erfahrung erarbeiten wir momentan das Konzept eines inklusiven Kids-Clubs. Solche Projekte sind gerade in den öffentlichen Theaterhäusern immer noch viel zu selten, aber wichtige Schritte in der Diskussion darüber, wen und was das Theater in Zukunft wie und mit wem auf der Bühne vertritt.

Wie sieht die Zukunft des Jungen Theaters aus? Und was wünschst du dir konkret für dein Theater, deine Stadt?

Diese Frage trifft mich jetzt mitten in der Corona-Krise und offen gesprochen, ist die Situation gerade für die Theater für junges Publikum alles andere als rosig. Es scheint manchmal schon geradezu absurd, dass genau KiJuTheaterschaffende, die oft Vorreiter dafür sind, wie Theater zukünftig in eine Stadtgesellschaft wirken kann, jetzt durchs kommunale und kulturpolitische Raster fallen. Da rächen sich die oft sowieso schon knappen Finanzierungen jetzt fatal. Was diese Theater jetzt brauchen, ist das offene Bekenntnis der Politik zur Kultur und Kulturellen Bildung für junge Menschen und die aktive Zukunftssicherung dieses Bereichs.

Welche Allies, Activists sind für dich wichtig? Welche Commons möchtest du in Zukunft teilen?

Für mich funktioniert das ideale Theater und gerade Kinder- und Jugendtheater nur in der größtmöglichen Diversität, Vielfalt und Offenheit – aber ich sehe auch, dass wir da noch eine Wegstrecke vor uns haben. Da ist schon noch Luft nach oben, gerade auch in unseren Arbeitsstrukturen. Ich begreife unser Theater als safe space und Zukunftslabor für die junge Generation und mehr denn je als Ort eines konstruktiven Generationendialogs und als Raum für Demokratieübungen. Viele unserer Projekte funktionieren per se nur in Kooperationen mit Expert*innen, städtischen Partner*innen und Teilhabe der Leipziger Bürgerschaft an unseren kulturellen Prozessen – so gesehen, ist der ideale Allie für mich wohl die Stadt an sich …