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Miriam Unterthiner: Bericht von der Jahrekonferenz dg 2025 in Nürnberg
Die Jahreskonferenz der Dramaturgischen Gesellschaft 2025 in Nürnberg
Multiperspektivisches Erinnern im Zeichen einer Demokratie der vielen
Unter dem Motto „remember – resist – represent. Über Solidarität und Haltung in polarisierten Zeiten“ tagt die Dramaturgische Gesellschaft, mit der Dringlichkeit der aktuellen politischen Weltlage im Rücken. Unter dem Zeichen des antifaschistischen Widerstands suchen Theatermacher:innen nach (neuen) Möglichkeiten des Erinnerns.
Freitag, 7. Februar 2025 „Österreich befindet sich nun dort, wo Deutschland hoffentlich nicht hinkommt“ – mit diesen Worten eröffnet Esther Holland-Merten (Vorstandsvorsitzende der Dramaturgischen Gesellschaft) die diesjährige Konferenz der Dramaturgischen Gesellschaft. Dass sie sich damit auf die letzten Nationalratswahlen in Österreich bezieht, bei der die FPÖ mit 28,85 % stimmenstärkste Partei wurde, muss sie nicht erwähnen. Die aktuelle politische Weltlage, der Rechtsruck sowie die zunehmende Spaltung der Gesellschaft macht klar, warum die Konferenz so rasch wie noch nie Besucher:innen anlockte und mit über dreihundertfünfzig Besucher:innen einen klaren Rekord verzeichnet.
Das Ziel der „fehlerfreundlichen Veranstaltung“, so Holland-Merten, ist nicht vorgefertigte Lösungen zu präsentieren, sondern im Akt des Voneinander- und Miteinander-Lernens gemeinsam aus der emotionalen Erstarrung zu finden, hin zu Handlungsmöglichkeiten des antifaschistischen Widerstandes. Als Beigeschmack der Konferenz mischt stets die Frage mit, wie das Theater in Zeiten wie diesen für Demokratie eintreten und als solches (finanziell) überleben kann.
„Noch haben wir die Wahl, zumindest in Deutschland“ (Mirjam Zadoff)
Mirjam Zadoff, Direktorin des NS-Dokumentationszentrums München, fordert in ihrem Eröffnungsimpuls eine Bewegung weg vom Erinnerungskitsch und dem Wohlfühlgedenken à la „alles ist wieder gut“, hin zu einem kritischen Hinterfragen. Bereits an diesem Punkt wird klar, dass dem vorangestellten „remember“ ein member (Mitglied) innewohnt, das nicht ausgespart wird, sondern viel eher als gemeinsames Erbe kritisch aufgearbeitet werden soll. Die Erinnerung als politischer Akt, der Spaltungen entgegenwirken kann und für Vielfalt und Inklusion eintritt, fordert zeitgleich eine Überprüfung der eigenen Haltung und kritischen Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit. Dies wird ebenso durch die inhaltliche Verbindung des Konferenzthemas mit dem Tagungsort Nürnberg sichtbar.
Mit dem popkulturellen Erinnerungsprojekt „Songs of Gastarbeiter:innen“ (Imran Ayata und Bülent Kullukcu) wird eine radikal neue Perspektive auf Deutschland als Einwanderungsland etabliert. An dieser Stelle wird schmerzlich klar, dass Deutschland die Einbindung der Gastarbeiter:innen bislang nicht als Erfolgsgeschichte ansieht, wodurch sich wiederum die Perspektive der Gegenwart entlarvt. Damit einher geht die kritische Hinterfragung der Erzählung der Gesellschaft über sich selbst, denn im Erinnern spiegelt sich das Vergessen, sprich jener Teil der Vergangenheit, der geleugnet, verdrängt, verworfen wird. Die Professorin für Medienwissenschaften Tanja Thomas ergänzt die Pflicht des öffentlichen Erinnerns mit dem Recht des Individuums auf privates Vergessen, darunter versteht sie etwa die Entscheidung von Betroffenen nicht öffentlich aufzutreten.
Plurale Erinnerungslandschaften
Mit der Forderung nach einem kritischen Erinnern gehen die über sämtliche Veranstaltungspunkte schwebenden Fragen einher: Wer spricht? Welche Stimmen werden gehört, welche nicht? Wer spricht über wen? Wie kann bislang ungehörten Stimmen und Erinnerungen Raum gegeben werden? Dahingehend wird auch der literarische Kanon kritisch lesbar, den Miriam Ibrahim als Erinnerungsloop versteht.
Mit dem Bewusstsein und einem Durchbrechen von Sprech-Hierarchien können Erinnerungslandschaften in ihrer Pluralität entstehen. Beata Anna Schmutz spricht hierbei von einer „Flächendramaturgie“, die aus dem Raum heraus arbeitet und ein Archiv der sowie des Unterrepräsentierten (Stimmen, Körper, Themen) entstehen lässt. Dabei geht es insbesondere auch um die Öffnung des Theaters und die Ermöglichung von muliperspektivischem Erinnern. In diesem Sinne spricht Lena Gorelik nicht von Erinnerungskultur, sondern von Erinnerungsarbeit.
Worauf bauen wir?
Um eine Erinnerung zu ermöglichen, ist es bedeutend zuvor anzuerkennen, was geschehen ist, so Leon Kahane. Die Vergangenheit von „unhealed places“ – dem der Begriff der „kontaminierten Landschaft“ von Martin Pollack gleichkommt – ist Ausgangspunkt von Arbeiten von Vala T. Foltyn und Wojtek Blecharz. In „Queer Magick Intervention“ widmen sie sich der Geschichte von queeren Opfern des Nationalsozialismus und fragen, was unter dem Boden verborgen liegt, welche Vergangenheit im Boden versteckt wird, auf dem wir bauen.
Die aktivistische Wirkung von Theater
Dass die Konferenz alles andere als im Elfenbeinturm stattfindet, wird nicht nur auf den Podien klar, sondern ebenso vor den Türen des Schauspiel Nürnbergs. Wenige Meter von der Tagung entfernt findet am Samstagnachmittag die Demonstration der Allianz gegen Rechtsextremismus statt. Selten überschlägt sich die Gegenwart und Kunst so sehr, nicht von ungewiss scheint hier der Begriff der Gegenwartsdramatik zu greifen.
So kommt es nicht von ungefähr, dass immer wieder die Frage aufkommt, wie sich Solidarisierungsprozesse im Theaterraum etablieren können. Heinrich Horwitz von Die Vielen betont dabei die Wichtigkeit der Vernetzung und des Schaffens von Bündnissen. Miriam Ibrahim ergänzt die Wichtigkeit des Sich-Verbindens, dem nicht eine geteilte Erfahrung vorausgehen muss. Mike Dele Dittrich Frydetzki fügt hinzu, dass es Aufarbeitungsarbeit ebenso von Nicht-Betroffenen bedarf. In diesem Sinne wird das Theater eingeladen, die oftmals schweren Theatertüren für ein Miteinander zu öffnen und sich für das bislang viel zu häufig ausgeladene Publikum zugängig zu machen.
„Wir müssen noch zu dieser wehrhaften Demokratie“
„Wir müssen noch zu dieser wehrhaften Demokratie“ – ein Nebensatz, aufgefasst auf den Stufen des Schauspiel Nürnbergs, der treffender die diesjährige Konferenz der Dramaturgischen Gesellschaft und deren Ziel nicht fassen könnte. Wenn eine Erkenntnis aus allen Veranstaltungen heraussticht, dann jene, dass Widerstand eine Langzeitarbeit ist und die wehrhafte Demokratie, das Eintreten für eine plurale Erinnerung täglich eingeübt werden muss.
Was auf der Konferenz in allen Ecken anzutreffen ist, obwohl derzeit gesellschaftlich wohl eher Mangelware, ist Ermutigung. Ermutigung für die Bedeutung der Theaterarbeit im Sinne der Vielfalt und Demokratie. Ermutigung für das Öffnen der Theaterräume und ein plurales Miteinander. Denn nicht zuletzt wird auf der Konferenz klar: Wir sind viele und wir lassen uns nicht unterkriegen.