Jahreskonferenzen

Republik der Liebe

Doing Democracy

Jena & Weimar 2019

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Liebe ist ein Kampfbegriff

Demokratie ist etwas, was man aktiv tun muss. Sie entsteht immer durch Handeln von Einzelnen, die die Initiative ergreifen – und dann oft erstaunlich viel bewegen können. DOING DEMOCRACY bedeutet: Es liegt an uns. Demokratie ist nicht etwas, was „die da oben“ tun. Demokratie, das sind wir. Im Vorfeld unserer Jahreskonferenz in Jena und Weimar haben wir

Oskar Negt, den großen Sozialphilosophen der Frankfurter Schule, gebeten, uns einen Grundlagen-Essay über DOING DEMOCRACY zu schreiben – einen Essay, der den weiten Bogen spannt von Demokratie als Lebensform und Lernprozess zur Bedeutung von öffentlichen Erfahrungsräumen im Zusammenhang mit unseren Tagungsorten Jena und Weimar. Und es ist kein Zufall, dass Oskar Negt gerade in diesem Zusammenhang auf die individuelle Mündigkeit abhebt, denn:„ Selbstentmündigungen haben tödliche Folgen für ein Gemeinwesen, das sich in der Aufklärungstradition begreift und den Menschen einen großen Freiheitsspielraum der eigenen Betätigung zuschreibt.“ Negt charakterisiert aus der Perspektive seiner Lebenserfahrung die Staatsordnung dann so: „Demokratie ist die einzige staatlich verfasste Gesellschaftsordnung, die gelernt werden muss. Es lässt sich da nichts aufbewahren, was nicht lebendig umgesetzt wird. Dieses Lernen ist ein Alltagsvorgang. Es lässt sich nicht als gesonderte Sphäre behandeln, die professioneller Kompetenz überlassenbleiben kann. “ Menschen müssten deshalb „ aufwachsen und dazu erzogen und gebildet werden, für sich selbst und das Gemeinwesen Verantwortung zu übernehmen “. Wie leicht sich Dinge tatsächlich bewegen lassen, wenn man das tut, zeigt die Aktion „40.000 Theatermitarbeiter*innen treffen ihre Abgeordneten “. Ziel dieser Aktion war, den Diskursrahmen zu verändern, innerhalb dessen im politischen Raum in Deutschland über Theater gesprochen wird: Weg von den defensiven Kürzungsdebatten, hin zu der Funktion, die Theater als zentrale Institutionen der Zivilgesellschaft haben, und hin zu der Notwendigkeit einer nachhaltigen Trendwende in der Finanzierung. In nur zwei Jahren ist aus einem spannenden Spielsetting bei der dg-Jahreskonferenz 2016 in Berlin eine bundesweite Gesprächsreihe geworden, die das politische Gespräch über Theater in Deutschland nachhaltig verändert hat – mit bezifferbaren Folgen in Millionenhöhe. Aber im Kern ist die Aktion vor allem eins: eine Einübung in Zivilgesellschaft. „Das Besondere an der Aktion ist, dass sie nicht auf Überwältigungsstrategie und konzentrierte Massenmobilisierung setzt, sondern auf Dezentralisierung und Dialog. Dialog – gerade der so notwendige und komplizierte, oft von Unkenntnis und Vorurteilen belastete zwischen Politik und Kultur –kann nur in der konkreten persönlichen Begegnung Einzelner gelingen. Sie tun etwas, was unsere Gesellschaft als Ganzes kaum noch vermag, nämlich: Sie reden miteinander und sie hören einander zu “, begründete die Jury des Theaterpreises DER FAUST die Verleihung des neugeschaffenen Perspektivpreises 2018 für die Aktion. Und ganz im Sinne Negts stammt die vielleicht schönste Beschreibung ihrer Auswirkungen von der teilnehmenden Essener Schauspielerin Stefanie Schönfeld: „Wir wurden mündiger“.

fighting for love is like fucking for virginity

In diesem Sinne ist es Zeit, den öffentlichen Raum zurückzuerobern. Es reicht schon lange nicht mehr, „gegen“ etwas zu sein. Wer in der Defensive verharrt, verliert und spielt unfreiwillig bereits das Spiel der Gegner*innen. DOING DEMOCRACY ist der Versuch, Mittel zu finden, mit denen agiert werden kann, „Republik der Liebe “das plakative Schlag-Wort. Denn „Liebe“ ist ein oft missbrauchter, missverstandener Begriff. Wer „Liebe“ sagt, steht unter Verdacht, gerade wenn er oder sie aus dem Kulturbetrieb kommt. Dabei ist das ein simpler logischer Schluss: Wer „Gegen den Hass“ ist, ist für Liebe. So verstanden, ist Liebe alles andere als naiv, und auch nichtprivat – sie ist ein politischer Kampfbegriff, der dazu dient, ihn anderen um die Ohren zu hauen. Denn die Beatles hatten noch nie recht: Liebe alleine reicht nicht. Die Bereitschaft zur Liebe ist aber Voraussetzung für das Gelingen einer Offenen Gesellschaft. Während im Zeitalter der beschleunigten Echtzeitmedien subjektive Gefühle in gefährlicher Weise Empirie als Letztbegründungsinstanz im politischen Diskurs ablösen (verdichtet in dem so absurden wie gefährlichen Satz „Gefühlte Wahrheit ist auch Wahrheit“) und so das demokratische Gefüge bedrohen, verstehen wir Liebe als eine politische Kategorie an sich: einen Modus des öffentlichen Umgangs miteinander– denn die ‚res publica‘, die den Kern der Republik benennt, ist das, was alle angeht. Drehen wir also die gesellschaftliche Debatte. Stehlen wir uns emanzipative Strategien zurück, um Freiheiten auszuweiten, erfinden wir eine neue ikonische Bildsprache, die sexier ist als gelbe Kreise auf schwarzem Grund, erfinden wir Erzählungen, die interessanter sind als der weinerlich-paradoxe Opferumkehr-Diskurs der rechten Agitatoren des Hasses. Die Jahrestagung 2019 der Dramaturgischen Gesellschaft befasst sich mit der Frage, wie sich Demokratien gegen autoritäre Tendenzen lebendig halten und verteidigen lassen. Und natürlich: was die Aufgabe von Künstlerinnen in diesem Zusammenhang ist. Wie kann die Organisation des Miteinanders in einer Gesellschaft der Singularitäten (Andreas Reckwitz) gelingen? Wie kann eine neue Ikonographie der Freiheit aussehen? Die Journalistin und Bloggerin Kübra Gümüsay hat gefordert, Liebe zu organisieren – wir wandeln diese Forderung um in eine Suche nach der „Republik der Liebe“: Wie initiieren wir Erzählungen der Liebe in der politischen Auseinandersetzung in Zeiten von „HateSpeech“ und Hetze? Wie kann politisches Handeln in einer gespaltenen Gesellschaft aussehen? Wie künstlerisches? Kann Liebe den Hass, den Autoritarismus besiegen? Und was hat Sprache damit zu tun? In welcher Sprache diskutieren wir darüber, wie wir leben wollen – und wie werden aus unseren Lebensformen politische Entscheidungsprozesse? Wir brauchen eine neue Erzählung von Demokratie. Eine, die funktioniert. Eine Erzählung des Miteinander. Und die Expertinnen für Erzählungen – das sind wir: die Theaterschaffenden. Und die Expertinnen für das Organisieren von Erzählungen – das sind wir: die Dramaturg*innen.

100 jahre demokratie erkämpfen

Demokratie entsteht beim Tun, sie vergeht aber auch durch Unterlassen. Dass die demokratische Verfasstheit eines Staates alleine nicht reicht, wenn sie nicht aktivgelebt wird, dafür ist die Weimarer Republik das Lehrbeispiel der deutschen Geschichte. Negt nennt sie „ein absurdes gesellschaftliches Gebilde, eine Demokratie ohne Demokraten. Res pulica amissa nannte Cicero diesen Schwebezustand einer Gesellschaft, deren altes Gerüst noch völlig intakt erscheint, im Innern aber auf eine autoritäre Entpolitisierung hinsteuert. Das Wort amissa hat einen Doppelsinn, es ist Vergessen und Vernachlässigen. Die alten Regeln werden gehalten und zielen darauf, dass alles in alter Ordnung gefestigt ist. Gleichwohl sind alle gesellschaftlichen Kräfte in einem Polarisierungszustand, in dem sich eine gesellschaftliche Richtungsentscheidung der gesamten Lebensverhältnisse vorbereitet, eine Suchbewegung drängt auf eine Entscheidung.“ Der Startpunkt in die verfasste Demokratie in Deutschland fand hier statt, am Ort der Konferenz, vorhundert Jahren im Nationaltheater Weimar, wo sich die Nationalversammlung der Weimarer Republik konstituierte. Hier wurde die Verfassung der Weimarer Republik diskutiert und verabschiedet. Politischer Diskurs lebt von Schlagworten – wir legen mit der erstmaligen Durchführung der Jahreskonferenz in zwei Städten dagegen den Fokus entschieden darauf, dass geistesgeschichtliche, politische, künstlerische Entwicklung nur im engen Austausch stattfinden kann, und historisch immer gerade dann besonders fruchtbar war, wenn dies besonders intensiv gelang. Das Hin- und Her-Wechseln von Menschen und Ideen innerhalb der Doppelstadt, die „an beiden Enden Viel Gutes hat “ (Goethe), erscheint uns heute selbst ein Symbol des Funktionierens eines demokratischen Gemeinwesens. Denn entworfen wurde die Weimarer Verfassung: von Jenaer Professoren. Und man kann auch sonst die geistesgeschichtliche wie politisch so enge Verbindung zwischenbeiden Städten kaum hoch genug einschätzen. Wie stark Jena ein wichtiger Referenzpunkt im Kampf um eine freiheitliche Gesellschaft ist, ohne den „Weimar“ als politische Chiffre nicht denkbar wäre, hat Peter Neumann in seinem Buch Jena 1800. Die Republik der freien Geister gerade eindrucksvoll dargelegt. Und auch er betont, wie zentral das freie Flottieren des Begriffs ‚Republik‘ zwischen den Sphären des Politischen und des Privaten für eine Offene Gesellschaft ist: „Der Weg zur lang ersehnten politischen Freiheit, er führt durch das Nadelöhr der philosophischen Reflexion und der poetischen Einbildungskraft. “Indem die Konferenz in Jena und Weimar stattfindet, knüpft sie bewusst gerade in Zeiten des wiedererstarkenden Autoritarismus an diese große humanistische Tradition der Doppelstadt an: „In der Doppelstadt Weimar-Jena ereignete sich zwischen Wielands Ankunft und Goethes Tod ein Geschehen von dauerhaft weltbewegender Größe. In einer bis dahin einmaligen intellektuellen Kommunikationsverdichtung begegneten sich die reflexiv gewordene Aufklärung, Klassik, Romantik und Idealismus – zeitgleich, auf engstem Raum, ohne Ausweichmöglichkeiten. Kreativität und Innovationen wurden nicht unter autoritativen Homogenisierungs- und Normierungsversuchen erstickt, sondern genutzt, um kulturelle Höchstleistungen durch Konkurrenz und Wettbewerb zu provozieren. “, schreiben Georg Schmidt und Andreas Klinger im Vorwort ihres Forschungsbandes Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800. 

Wir freuen uns deshalb besonders über die bereits 2016 ausgesprochene doppelte Einladung von Jonas Zipf (für JenaKultur) und Hasko Weber (für das Deutsche Nationaltheater Weimar) – gerade in einer Zeit, in der allenthalben die Vergleichbarkeit zwischen „Weimar“ und „heute“ diskutiert wird. Unsere Jahrestagung eröffnet zugleich die „Woche der Demokratie“ am Deutschen Nationaltheater Weimar mit zahlreichen Veranstaltungen, deren Höhepunkt der große Festakt am 6. Februar mit den Spitzen von Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht sein wird. Und auch wenn die demokratischen Errungenschaften dieser Zeit für immer im Schatten des katastrophalen Scheiterns der Weimarer Republik stehen, hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bereits anlässlich des 100. Jahrestages der Revolution von 1918 zu Recht differenziert: „Historisch gescheitert ist nicht die Demokratie – historisch gescheitert sind ihre Feinde “.Deshalb lohnt es sich, gerade an diesen Orten in den Blick zu nehmen, dass Demokratie immer wieder neu erkämpft werden muss, und dass es Menschen braucht, die für sie einstehen – Hasko Weber hat während der vielen Gespräche in der Vorbereitung der Konferenz immer wieder darauf hingewiesen, dass die Weimarer Verfassung damals eine mutig gedachte neue Setzung war, mit der viele provokante Neuerungen politisch durchgesetzt werden sollten – von der Meinungs- und Religionsfreiheit über die Sozialgesetzgebung bis zum Frauenwahlrecht. Das Grundgesetz baut in weiten Teilen auf der Weimarer Verfassung auf. Und nicht nur das: Der Mut der ersten Demokraten ist zugleich der Grund für die internationale Vorbildwirkung, die die Weimarer Verfassung erreicht hat – nicht nur Österreich lehnt sich bis heute eng an den Text der Weimarer Verfassung an, auch ein Großteil der Verfassungen Südamerikas haben auf sie zurückgegriffen. Dieser Mut hatte aber auch konkrete Folgen für die Sicherheit der Akteure: Als Tagungsort der Nationalversammlung kam Berlin nicht in Betracht, weil sie dort zu gefährdet gewesen wären, und die konkrete Wahl Weimars hatte vor allem militärische Gründe: Es wäre im Angriffsfall leichter zu verteidigen gewesen als das ursprünglich vorgesehene Erfurt. Wie schnell Verfassungsordnungen kippen können, wenn niemand für sie einsteht, dafür ist nicht nur die Weimarer Republik ein Beispiel, dafür finden sich heute gerade in den genannten Ländern Beispiele. Wir sind deshalb sehr gespannt auf die Keynote von Bundestagspräsident a. D. Norbert Lammert und die anschließende Diskussion zu den Gefährdungen liberaler Grundordnungen mit Expert*innen aus Österreich, der Türkei und Brasilien in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut und der „Woche der Demokratie“. Denn wer schützt die Verfassung vor autoritärer Herrschaft? Schon jetzt gibt es erschreckende vorauseilende Rechtsverschiebungen. Im Zentrum unserer Konferenz haben wir deshalb einen ganzen Nachmittag ausschließlich einer Reihe von parallelen Workshops gewidmet, die unter dem Motto „Verfassung schützen– müssen wir denn alles selber machen?“ auf unterschiedlichste Weisen, von ganz praktisch bis ganz theoretisch, Strategien gegen die Angriffe auf die Grundwerte der Demokratie entwickeln und für den Alltagskampf rüsten. Und es ist kein Zufall, dass gerade in Jena eine ganze Reihe von Institutionen sitzen, die seit Jahren stilbildend (und deshalb häufige Gäste auf entsprechenden Konferenzen) sind. Im Sinne des DOING DEMOCRACY kommen aus dem linksliberalen Flaggschiff des Ostens seit Jahren zentrale Orientierungen im aktuellen Kulturkampf, auch durch das Jenaer Institut für Soziologie. Dort lehrt Silke van Dyk, die in ihrer Einleitungskeynote zu den Workshops dazu aufruft, Identitäts- und Klassenpolitik nicht gegeneinander ausspielen lassen.

institutionen unter druck

Denn auch die Kunst gerät immer stärker unter Druck: Immer mehr Menschen, die man anfragt für Konferenzen, treten „im Moment “ nicht auf, weil sie Pause brauchen von den Shitstorms, denen sie ausgesetzt sind. Und auch Institutionen können sich jetzt schon nichtmehr selbstverständlich darauf verlassen, dass sie hinreichend vom Staat geschützt werden. Die von der Staatskanzlei Sachsen-Anhalt empfohlene Absage des Konzertes von Feine Sahne Fischfilet durch das Bauhaus Dessau ist eine politische Koordinatenverschiebung für die Kunstfreiheit, die bedrohlich ist. Olaf Zimmermann, der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, hat bei der Pressekonferenz zur „Berliner Erklärung der Vielen“ (zu deren Erstunterzeichnern die dg gehört) von einer „Preisgabe von Kultureinrichtungen “ gesprochen, die „der Staat nicht mehr schützen kann“. Und hinzugefügt: „Wir müssen jetzt Druck auf den Staat machen, dass er diese Verpflichtung, Künstler und Kultureinrichtungen zu schützen, ernster nimmt als im Moment“. Und Kai Uwe Peter, Vorstand der Stiftung Brandenburger Tor, appellierte, es sei „Aufgabe von Kunst und Kultur, sich schützend vor die Demokratie zu stellen“. Aber sollte Kunst nicht eher den Mächtigen auf die Finger klopfen, kommt neuerdings perfide von Rechts der Vorwurf der „Staatskunst“? – Der Regisseur und Videokünstler Arne Vogelgesang, der einen der Konferenz-Workshops geben wird, weist darauf hin, „dass es den Akteuren im Kielwasser oder in der Flotte der „Neuen Rechten“ nicht um Diskursbeteiligung geht, und die Forderung‚ ‚miteinander zu reden‘ meist nur ein taktisches Manöver im Kulturkampf ist“, und „dass es gleichzeitig wichtig wäre, über diese Ausweitungen politischer Kampfzonen nicht nur als PR-Frage (Wie vermeide ich den Shitstorm?) und kulturpolitisches Problem (Welche Fraktionen wollen das Theater der Stadt wie und wo (nicht)positioniert sehen?) zu sprechen, sondern eben auch als Teil eines größeren politischen Umbruchs, in dem Stadt- und Staatstheater durchaus (noch) Handlungsmacht haben.“ Diese Schnittstellen zwischen Kunst und Politik im Ringen um eine Offene Gesellschaft werden wir ausführlich in unserem Abschlusspanel mit dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, dem Autoren und Dramaturgen Björn Bicker und der Kampnagel-Leiterin Amelie Deuflhard beleuchten.

die erfindung einer sprache der liebe

Denn wir kommen nicht drum herum, Stellung zu beziehen, im Austausch miteinander. Die frühere Forsythe-Tänzerin Dana Caspersen ist Expertin für ‚Action Dialogues‘, die Reflexionen über strukturelle Gewalt, Rassismus und Migration mit Raum und Körper verbinden, also originär auf eine Stärkung der Zivilgesellschaft abzielen. In unserem großen Versammlungsformat am Samstagnachmittag können die Konferenzteilnehmenden der Komplexität von sozialen Erfahrungen Ausdruckverleihen: in einem von Dana Caspersen und dem MichaelDouglas Kollektiv entwickelten Format, in dem neben der Sprache auch der Körper – einer der signifikantesten Auslöser für Voreingenommenheit in stereotypen Denksystemen – zum Mittel der Kommunikation wird. Es ist aber auch kein Zufall, dass Autorinnen in vielfältigster Weise die Konferenz mitgestalten, denn: Sprache ist entscheidend. Das Kollektiv Nazis & Goldmund beobachtet den Raum der öffentlichen Sprachegenau, sie untersuchen und attackieren die Erzähl-und Interventionsstrategien der Europäischen Rechten, die die Sprache vergiften. Während ihrer Konferenz „Ängst is now a Weltanschauung “ entstand die Idee, ein „Ministerium für Mitgefühl “ zu gründen, eine vielköpfige Hydra: Wir freuen uns, dass es sich in mindestens einer seiner Erscheinungsformen bei uns auf der Konferenz manifestieren wird. Die Minister*innen sind dabei mehr als nur Konferenzbeobachter*innen und werden als Katalysator*innen des Mitgefühls agieren. Wie eigentlich alle Theaterschaffende – was denn sonst …

eine res publica amoris, gegen die res publica amissa

Liebe ist ein Kampfbegriff, gegen die Agitator*innen des Hasses, die den öffentlichen Raum besetzen. Niemand sonst im deutschen Sprachraum hat besser begriffen als Sookee, dass man den Rechten unsere Liebe um die Ohren hauen muss, bis ihnen Hören und Sehen vergeht – im Gespräch mit Stephanie Lohaus wird sie unsere Konferenz eröffnen, gemeinsam werden sie nach Fragmenten einer Sprache der Liebe suchen, und am Ende der Konferenz lädt die Schweizer Jungdramaturgin Zarah Mayer, das ist kein Scherz, zur einzig angemessenen Form der öffentlichen Auseinandersetzung mit extrem rechten Positionen: zur Kissenschlacht. Und vielleicht sind tatsächlich nur noch Utopien realistisch. Weit über die Stabilisierung des Bestehenden hinaus denkt jedenfalls Ulrike Guérot mit ihrem gemeinsam mit Robert Menasse initiierten European Balcony Project, zu dem sie zum ersten Mal auf unserer Konferenz in Greifswald vor einem Jahr aufgerufen hatte und an dem sich über 200 Kulturinstitutionen in ganz Europa beteiligt haben. Das ‚Zurückdenken‘ des Begriffs ‚Republik‘ auf seine Ursprungsbedeutung der gemeinsamen Sache und des gemeinsamen Wohls steht im Zentrum ihrer Forschung, die sie nicht im Elfenbeinturm der Wissenschaft belässt. Wir freuen uns auf ihre Keynote der angewandten Utopie – denn klar ist: Wer nur aus der Defensive denkt, verliert.

den freiheitsraum erweitern

Wir danken unseren Gastgebern, JenaKultur, dem Deutschen Nationaltheater Weimar, dem Volkshaus und Volksbad Jena, dem Theaterhaus Jena und insbesondere Jonas Zipf und Hasko Weber für ihre Einladung und die erhebliche finanzielle Unterstützung der Konferenz, sowie allen Mitarbeiterinnen aller Institutionen, die bei der Realisierung der Konferenz mitwirken. Wir möchten der Thüringer Staatskanzlei ganz herzlich für die Förderung der diesjährigen Konferenz danken. Die Diskussionsveranstaltung zur Gefährdung von Verfassungen ist nur möglich durch die Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut und der „Woche der Demokratie “ am Deutschen Nationaltheater Weimar, deren Auftakt dieser Vormittag zugleich sein wird. Die verlässliche substantielle Förderung durch den Deutschen Bühnenverein ist seit Jahren eine wesentliche Voraussetzung für die Durchführung unserer Jahreskonferenzen. Und, zum zweiten Mal in Folge, unterstützt uns die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit; wir danken dem Regionalbüro Mitteldeutschland für die Förderung. Neben den oben genannten Partnern arbeiten wir natürlich wieder mit dem Verband Deutscher Bühnen- und Medienverlage zusammen, der die Autorinnenbegegnungen erneut im engen inhaltlich-kritischen Austausch über unser Tagungsthema entwickelt hat. Und natürlich werden wir im Rahmen der Konferenz wie immer den/die Gewinnerin des Kleistförderpreises für junge Dramatik präsentieren. Wir haben diesmal statt eines Vorab-Heftes gezielt einen Essay in Auftrag gegeben – Sie und Ihr habt ihn als eigenständiges, von der dg herausgegebenes Buch in der Post gefunden. Oskar Negt war und ist der Text ein Anliegen, und er war so großzügig, auf das Honorar zu verzichten. Wir haben auf Vorschlag von Kathrin Bieligk stattdessen mit dem vorgesehenen Geld das neue Oskar-Negt-Stipendium aufgelegt, um Künstler*innen aus autoritäreren Staaten als Fellows – „Gefährt*innen“ –die Teilnahme an der Jahreskonferenz zu ermöglichen. Zivilgesellschaften brauchen Protagonist*innen. In offenen Gesellschaften sind das häufig: Politiker*innen, die mit ihren Überzeugungen, mit ihrer Stimme, mit ihrem Gesicht und zur Not auch mit ihrem Körpern für sie einstehen. Behandeln wir sie pfleglich: Wir brauchen sie. Denn für eine Republik der Liebe gilt, was Oskar Negt sagt: „Wenn Demokratie im Wesentlichen darin besteht, dass sich die Verhältnisse für Lernprozesse öffnen, dann ist die Kritik am Bestehenden immer damit verknüpft, den Freiheitsraum der Individuen zu erweitern und Bedingungen zu setzen, die Ausgrenzung, Hass und die Verkümmerung der Lebensperspektiven verringern.“

Der Vorstand der Dramaturgischen Gesellschaft: Kathrin Bieligk, Uwe Gössel (stellvertretender Vorsitzender), Kerstin Grübmeyer, Dorothea Hartmann, Karin Kirchhoff, Beata Anna Schmutz, Harald Wolff (Vorsitzender), mit Jana Thiele (Geschäftsführerin) und Undine Klose (Geschäftsstelle)

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